Bellboy oder: Ich schulde Paul einen Sommer - Roman by dtv

Bellboy oder: Ich schulde Paul einen Sommer - Roman by dtv

Autor:dtv
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Herausgeber: dtv


Stevie unterbrach uns. Er war kurz oben gewesen und hatte unser Gespräch nicht mitbekommen.

»Und sonst«, fragte er meinen älteren Cousin, weil gerade Stille herrschte, »was machst du sonst so?«

Dietsche nahm das Angebot dankend an. »Dies und das«, antwortete er mit seinem typischen, geheimnisvollen Understatement, »Geschäfte halt.«

Schon regiert wieder das Gerede, dachte ich, als mein Cousin von »ein bisschen Controlling und Internet hier, ein bisschen Beratung dort« sprach. Und doch war es beeindruckend. Wir erfuhren, dass er den Familienbetrieb Isele (»Die Drogerie Ihres Vertrauens« in Waldkraiburg mit Filialen in Schwindegg und Perlesham) erfolgreich in ein Franchise-System umgewandelt habe (später sogar in eine Aktiengesellschaft, »aber ohne Börsengang, versteht sich«), dass er des Weiteren »mit einem russischen Kumpel« Reiseführer für Litauen, Kasachstan und die Ukraine herausgegeben habe. (»Nee, natürlich war ich nicht da, aber ich weiß, wo ich die wichtigen Informationen herkriege und wie man die zusammenstellt. Das sind Shureshot-Bücher, echte Schnelldreher, die laufen wie nur was.«) Sein »größter Coup« aber sei »der Deal zwischen Mercedes und den schwäbischen Bullen« gewesen. Sein Vorschlag, die grüne Farbe nicht mehr auf die Polizeiautos zu spritzen, sondern großflächig aufzukleben, sei voll eingeschlagen. (»Das ist zwar erst mal teurer, aber man kriegt’s nachher leichter weg. Die sind ja alle geleast, die Wagen.«) Auch die Idee, silberne statt weiße Autos zu verwenden, stamme letztendlich von ihm, »die haben einfach den höheren Wiederverkaufswert«. Ein Riesending sei das gewesen.

»Und zurzeit«, Dietsche zog die Augenbrauen hoch, »zurzeit helfe ich Much, Wurst über Ebay zu verkaufen.«

Patrizia, die die ganze Zeit still zugehört hatte, brach in schallendes Gelächter aus. »Bitte, was?«

Auch ich war einigermaßen verwirrt. Dass Much die Metzgerei seines Onkels übernommen hatte, wusste ich, aber was sollte das mit dem Internet-Auktionshaus? Dietsche genoss es sichtlich, dass ihm eine Überraschung gelungen war.

»Ja, Ebay ist der totale Hype ... habt ihr einen Rechner?«

Ich zeigte ihn ihm. In kürzester Zeit hatte Dietsche sich eingewählt, und ein paar Mausklicks und Suchbegriffe später war er auf der richtigen Seite.

»Ist ja abgefahren«, entfuhr es mir, während ich den Text auf dem Bildschirm las.

»Hallo, ich bin Michael Bremer junior, der Fachmann für Fleisch-wievonFrüher. Dies ist mein kleiner E-Bay Shop. Ich hab ihn ins Leben grufen, weil ich es einfach niemand auf der ganzen grosn Welt vorenthalten möchat, meine traditionell bayerischen Fleischprodukte so genießen, zu können, wie es unsere Großväter früher schon getan ham. Alt überlieferte Rezepturen, viel Zeit bei der Herstellung, Trocknung und Räucherung, verleihn meinen Produkten lange Haltbarkeit. Steigern Sie mit (wie früher)! Der Urgenuss ist Ihnen gewis (siehe Bewertungen). Bei Sofortkauffragen bitte Direkt-E-Mail.«

Jesus, da stimmte ja gar nichts. Von Orthografie und Grammatik einmal abgesehen, Much hatte seine Gesellenprüfung nur mit Ach und Krach bestanden, und die Metzgerei Bremer war seit jeher für ihr unteres Mittelmaß bekannt. Dietsche erriet meine Gedanken.

»Authentisch muss es halt klingen, und die Leute fahren voll drauf ab.«

Er scrollte zu den Bewertungen, und zum Vorschein kamen weit über zweitausend positive Einträge, die von »absoluter Spitzenqualität« über »Weltklasseabwicklung« bis zu »superlecker, so macht Ebay Spaß« reichten. Es schien einfach hip zu sein, sich seine Wurst aus dem Netz zu ziehen.



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